Marie Luise Kaschnitz

Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Ki

Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind" 1
Es war Ende Januar, bald nach den Weihnachtsferien, als das dicke Kind zu mir kam. Ich hatte in
diesem Winter angefangen, die Kinder aus der Nachbarschaft Bücher auszuleihen, die sie an einem
bestimmten Wochentag holen und zurückbringen sollten. Natürlich kannte ich die meisten dieser
Kinder, aber es kamen auch manchmal Fremde, die nicht in unserer Straße wohnten. Und wenn
auch die Mehrzahl von ihnen gerade nur so lange Zeit blieb, wie der Umtausch in Anspruch nahm,
so gab es doch einige, die sich hinsetzten und gleich auf der Stelle zu lesen begannen. Dann saß ich
an meinem Schreibtisch und arbeitete, und die Kinder saßen an dem kleinen Tisch bei der
Bücherwand, und ihre Gegenwart war mir angenehm und störte mich nicht.
Das dicke Kind kam an einem Freitag oder Samstag, jedenfalls nicht an dem zum Ausleihen
bestimmten Tag. Ich hatte vor, auszugehen, und war im Begriff, einen kleinen Imbiß, den ich mir
gerichtet hatte, ins Zimmer zu tragen. Kurz vorher hatte ich einen Besuch gehabt und dieser mußte
wohl vergessen haben, die Eingangstür zu schließen. So kam es, daß das dicke Kind ganz plötzlich
vor mir stand, gerade als ich das Tablett auf den Schreibtisch niedergesetzt hatte und mich
umwandte, um noch etwas in der Küche zu holen. Es war ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren,
das einen altmodischen Lodenmantel und schwarze, gestrickte Gamaschen anhatte und an einem
Riemen ein paar Schlittschuhe trug, und es kam mir bekannt, aber doch nicht richtig bekannt vor,
und weil es so leise hereingekommen war, hatte es mich erschreckt.
Kenne ich dich? fragte ich überrascht.
Das dicke Kind sagte nichts. Es stand nur da und legte die Hände über seinem runden Bauch
zusammen und sah mich mit seinen wasserhellen Augen an.
Möchtest du ein Buch? fragte ich.
Das dicke Kind gab wieder keine Antwort. Aber darüber wunderte ich mich nicht allzusehr. Ich war
es gewohnt, daß die Kinder schüchtern waren, und daß man ihnen helfen mußte. Also zog ich ein
paar Bücher heraus und legte sie vor das fremde Mädchen hin. Dann machte ich mich daran, eine
der Karten auszufüllen, auf welchen die entliehenen Bücher aufgezeichnet wurden.
Wie heißt du denn? fragte ich.
Sie nennen mich die Dicke, sagte das Kind.
Soll ich dich auch so nennen? fragte ich.
Es ist mir egal, sagte das Kind. Es erwiderte mein Lächeln nicht, und ich glaube mich jetzt zu
erinnern, daß sein Gesicht sich in diesem Augenblick schmerzlich verzog.
Aber ich achtete darauf nicht.
Wann bist du geboren? fragte ich weiter.
Im Wassermann, sagte das Kind ruhig.
Diese Antwort belustigte mich und ich trug sie auf der Karte ein, spaßeshalber gewissermaßen, und
dann wandte ich mich wieder den Büchern zu.
Möchtest du etwas Bestimmtes? fragte ich.
Aber dann sah ich, daß das fremde Kind gar nicht die Bücher ins Auge faßte, sondern seine Blicke
auf dem Tablett ruhen ließ, auf dem mein Tee und meine belegten Brote standen,
Vielleicht möchtest du etwas essen, sagte ich schnell.
Das Kind nickte, und in seiner Zustimmung lag etwas wie ein gekränktes Erstaunen darüber, daß
Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind" 2
ich erst jetzt auf diesen Gedanken kam. Es machte sich daran, die Brote eins nach dem andern zu
verzehren, und es tat das auf eine besondere Weise, über die ich mir erst später Rechenschaft gab.
Dann saß es wieder da und ließ seine trägen kalten Blicke im Zimmer herumwandern, und es lag
etwas in seinem Wesen, das mich mit Ärger und Abneigung erfüllte, Ja gewiß, ich habe dieses Kind
von Anfang an gehaßt. Alles an ihm hat mich abgestoßen, seine trägen Glieder, sein hübsches, fettes
Gesicht, seine Art zu sprechen, die zugleich schläfrig und anmaßend war. Und obwohl ich mich
entschlossen hatte, ihm zuliebe meinen Spaziergang aufzugeben, behandelte ich es doch keineswegs
freundlich, sondern grausam und kalt.
Oder soll man es etwa freundlich nennen, daß ich mich nun an den Schreibtisch setzte und meine
Arbeit vornahm und über meine Schulter weg sagte, lies jetzt, obwohl ich doch ganz genau wußte,
daß das fremde Kind gar nicht lesen wollte? Und dann saß ich da und wollte schreiben und brachte
nichts zustande, weil ich ein sonderbares Gefühl der Peinigung hatte, so, wie wenn man etwas
erraten soll und errät es nicht, und ehe man es nicht erraten hat, kann nichts mehr so werden, wie es
vorher war. Und eine Weile lang hielt ich das aus, aber nicht sehr lange, und dann wandte ich mich
um und begann eine Unterhaltung, und es fielen mir nur die törichsten Fragen ein.
Hast du noch Geschwister? fragte ich.
Ja, sagte das Kind.
Gehst du gern in die Schule? fragte ich.
Ja, sagte das Kind.
Was machst du denn am liebsten?
Wie bitte? fragte das Kind.
Welches Fach? fragte ich verzweifelt.
Ich weiß nicht, sagte das Kind.
Vielleicht Deutsch? fragte ich.
Ich weiß nicht, sagte das Kind.
Ich drehte meinen Bleistift zwischen den Fingern, und es wuchs etwas in mir auf, ein Grauen, das
mit der Erscheinung des Kindes in gar keinem Verhältnis stand.
Hast du Freundinnen? fragte ich zitternd.
O ja, sagte das Mädchen.
Eine hast du doch sicher am liebsten? fragte ich.
Ich weiß nicht, sagte das Kind, und wie es dasaß in seinem haarigen Lodenmantel, glich es einer
fetten Raupe, und wie eine Raupe hatte es auch gegessen, und wie eine Raupe witterte es jetzt
wieder herum. Jetzt bekommst du nichts mehr, dachte ich, von einer sonderbaren Rachsucht erfüllt.
Aber dann ging ich doch hinaus und holte Brot und Wurst, und das Kind starrte darauf mit seinem
dumpfen Gesicht, und dann fing es an zu essen, wie eine Raupe frißt, langsam und stetig, wie aus
einem inneren Zwang heraus, und ich betrachtete es feindlich und stumm.
Denn nun war es schon soweit, daß alles an diesem Kind mich aufzuregen und ärgern begann. Was
für ein albernes, weißes Kleid, was für ein lächerlicher Stehkragen, dachte ich, als das Kind nach
dem Essen seinen Mantel aufknöpfte. Ich setzte mich wieder an meine Arbeit, aber dann hörte ich
das Kind hinter mir schmatzen, und dieses Geräusch glich dem trägen Schmatzen eines schwarzen
Reihers irgendwo im Walde, es brachte mir alles wässerig Dumpfe, alles Schwere und und Trübe
der Menschennatur zum Bewußtsein und verstimmte mich sehr. Was willst du von mir, dachte ich,
geh fort, geh fort. Und ich hatte Lust, das Kind mit meinen Händen aus dem Zimmer zu stoßen, wie
Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind" 3
man ein lästiges Tier vertreibt. Aber dann stieß ich es nicht aus dem Zimmer, sondern sprach nur
wieder mit ihm, und wieder auf dieselbe grausame Art.
Gehst du jetzt aufs Eis, fragte ich.
Ja, sagte das dicke Kind.
Kannst du gut Schlittschuhlaufen? fragte ich und deutete auf die Schlittschuhe, die das Kind noch
immer am Arm hängen hatte.
Meine Schwester kann gut, sagte das Kind, und wieder erschien auf seinem Gesicht in Ausdruck
von Schmerz und Trauer und wieder beachtete ich ihn nicht.
Wie sieht deine Schwester aus? fragte ich. Gleicht sie dir?
Ach nein, sagte das dicke Kind. Meine Schwester ist ganz dünn und hat schwarzes, lockiges Haar.
Im Sommer, wenn wir auf dem Land sind, steht sie nachts auf, wenn ein Gewitter kommt, und sitzt
oben auf der obersten Galerie auf dem Geländer und singt.
Und du? fragte ich.
Ich bleibe im Bett, sagte das Kind. Ich habe Angst.
Deine Schwester hat keine Angst, nicht wahr? sagte ich.
Nein, sagte das Kind. Sie hat niemals Angst. Sie springt auch vom obersten Sprungbrett. Sie macht
einen Kopfsprung, und dann schwimmt sie weit hinaus . . .
Was singt deine Schwester denn? fragte ich neugierig.
Sie singt, was sie will, sagte das dicke Kind traurig. Sie macht Gedichte.
Und du? fragte ich.
Ich tue nichts, sagte das Kind. Und dann stand es auf und sagte, ich muß jetzt gehen. Ich streckte
meine Hand aus, und es legte seine dicken Finger hinein, und ich weiß nicht genau, was ich dabei
empfand, etwas wie eine Aufforderung, ihm zu folgen, einen unhörbaren dringlichen Ruf. Komm
einmal wieder, sagte ich, aber es war mir nicht ernst damit, und das Kind sagte nichts und sah mich
mit seinen kühlen Augen an. Und dann war es fort, und ich hatte eigentlich Erleichterung spüren
müssen. Aber kaum, daß ich die Wohnungstür ins Schloß fallen hörte, lief ich auch schon auf den
Korridor hinaus und zog meinen Mantel an. Ich rannte ganz schnell die Treppe hinunter und
erreichte die Straße in dem Augenblick, in dem das Kind um die nächste Ecke verschwand.
Ich muß doch sehen, wie diese Raupe Schlittschuh läuft, dachte ich. Ich muß doch sehen, wie sich
dieser Fettkloß auf dem Eise bewegt. Und ich beschleunigte meine Schritte, um das Kind nicht aus
den Augen zu verlieren.
Es war am frühen Nachmittag gewesen, als das dicke Kind zu mir ins Zimmer trat, und jetzt brach
die Dämmerung herein. Obwohl ich in dieser Stadt einige Jahre meiner Kindheit verbracht hatte,
kannte ich mich doch nicht mehr gut aus, und während ich mich bemühte, dem Kind zu folgen,
wußte ich bald nicht mehr, welchen Weg wir gingen, und die Straßen und Plätze, die vor mir
auftauchten, waren mir völlig fremd. Ich bemerkte auch plötzlich eine Veränderung in der Luft. Es
war sehr kalt gewesen, aber nun war ohne Zweifel Tauwetter eingetreten und mit so großer Gewalt,
daß der Schnee schon von den Dächern tropfte und am Himmel große Föhnwolken ihres Weges
zogen. Wir kamen vor die Stadt hinaus, dorthin, wo die Häuser von großen Gärten umgeben sind,
und dann waren gar keine Häuser mehr da, und dann verschwand plötzlich das Kind und tauchte
eine Böschung hinab. Und wenn ich erwartet hatte, nun einen Eislaufplatz vor mir zu sehen, helle
Buden und Bogenlampen und eine glitzernde Fläche voll Geschrei und Musik, so bot sich mir jetzt
ein ganz anderer Anblick. Denn dort unten lag der See, von dem ich geglaubt hatte, daß seine Ufer
Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind" 4
mittlerweile alle bebaut worden wären: er lag ganz einsam da, von schwarzen Wäldern umgeben
und sah genau wie in meiner Kindheit aus.
Dieses unerwartete Bild erregte mich so sehr, daß ich das fremde Kind beinahe aus den Augen
verlor. Aber dann sah ich es wieder, es
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Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind" 1Es war Ende Januar, bald nach den Weihnachtsferien, als das dicke Kind zu mir kam. Ich hatte indiesem Winter angefangen, die Kinder aus der Nachbarschaft Bücher auszuleihen, die sie an einembestimmten Wochentag holen und zurückbringen sollten. Natürlich kannte ich die meisten dieserKinder, aber es kamen auch manchmal Fremde, die nicht in unserer Straße wohnten. Und wennauch die Mehrzahl von ihnen gerade nur so lange Zeit blieb, wie der Umtausch in Anspruch nahm,so gab es doch einige, die sich hinsetzten und gleich auf der Stelle zu lesen begannen. Dann saß ichan meinem Schreibtisch und arbeitete, und die Kinder saßen an dem kleinen Tisch bei derBücherwand, und ihre Gegenwart war mir angenehm und störte mich nicht.Das dicke Kind kam an einem Freitag oder Samstag, jedenfalls nicht an dem zum Ausleihenbestimmten Tag. Ich hatte vor, auszugehen, und war im Begriff, einen kleinen Imbiß, den ich mirgerichtet hatte, ins Zimmer zu tragen. Kurz vorher hatte ich einen Besuch gehabt und dieser mußtewohl vergessen haben, die Eingangstür zu schließen. So kam es, daß das dicke Kind ganz plötzlichvor mir stand, gerade als ich das Tablett auf den Schreibtisch niedergesetzt hatte und michumwandte, um noch etwas in der Küche zu holen. Es war ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren,das einen altmodischen Lodenmantel und schwarze, gestrickte Gamaschen anhatte und an einemRiemen ein paar Schlittschuhe trug, und es kam mir bekannt, aber doch nicht richtig bekannt vor,und weil es so leise hereingekommen war, hatte es mich erschreckt.Kenne ich dich? fragte ich überrascht.Das dicke Kind sagte nichts. Es stand nur da und legte die Hände über seinem runden Bauchzusammen und sah mich mit seinen wasserhellen Augen an.Möchtest du ein Buch? fragte ich.Das dicke Kind gab wieder keine Antwort. Aber darüber wunderte ich mich nicht allzusehr. Ich wares gewohnt, daß die Kinder schüchtern waren, und daß man ihnen helfen mußte. Also zog ich einpaar Bücher heraus und legte sie vor das fremde Mädchen hin. Dann machte ich mich daran, eineder Karten auszufüllen, auf welchen die entliehenen Bücher aufgezeichnet wurden.Wie heißt du denn? fragte ich.Sie nennen mich die Dicke, sagte das Kind.Soll ich dich auch so nennen? fragte ich.Es ist mir egal, sagte das Kind. Es erwiderte mein Lächeln nicht, und ich glaube mich jetzt zuerinnern, daß sein Gesicht sich in diesem Augenblick schmerzlich verzog.Aber ich achtete darauf nicht.Wann bist du geboren? fragte ich weiter.Im Wassermann, sagte das Kind ruhig.Diese Antwort belustigte mich und ich trug sie auf der Karte ein, spaßeshalber gewissermaßen, unddann wandte ich mich wieder den Büchern zu.Möchtest du etwas Bestimmtes? fragte ich.Aber dann sah ich, daß das fremde Kind gar nicht die Bücher ins Auge faßte, sondern seine Blickeauf dem Tablett ruhen ließ, auf dem mein Tee und meine belegten Brote standen,Vielleicht möchtest du etwas essen, sagte ich schnell.Das Kind nickte, und in seiner Zustimmung lag etwas wie ein gekränktes Erstaunen darüber, daßMarie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind" 2ich erst jetzt auf diesen Gedanken kam. Es machte sich daran, die Brote eins nach dem andern zuverzehren, und es tat das auf eine besondere Weise, über die ich mir erst später Rechenschaft gab.Dann saß es wieder da und ließ seine trägen kalten Blicke im Zimmer herumwandern, und es lagetwas in seinem Wesen, das mich mit Ärger und Abneigung erfüllte, Ja gewiß, ich habe dieses Kindvon Anfang an gehaßt. Alles an ihm hat mich abgestoßen, seine trägen Glieder, sein hübsches, fettesGesicht, seine Art zu sprechen, die zugleich schläfrig und anmaßend war. Und obwohl ich michentschlossen hatte, ihm zuliebe meinen Spaziergang aufzugeben, behandelte ich es doch keineswegsfreundlich, sondern grausam und kalt.Oder soll man es etwa freundlich nennen, daß ich mich nun an den Schreibtisch setzte und meineArbeit vornahm und über meine Schulter weg sagte, lies jetzt, obwohl ich doch ganz genau wußte,daß das fremde Kind gar nicht lesen wollte? Und dann saß ich da und wollte schreiben und brachtenichts zustande, weil ich ein sonderbares Gefühl der Peinigung hatte, so, wie wenn man etwaserraten soll und errät es nicht, und ehe man es nicht erraten hat, kann nichts mehr so werden, wie esvorher war. Und eine Weile lang hielt ich das aus, aber nicht sehr lange, und dann wandte ich michum und begann eine Unterhaltung, und es fielen mir nur die törichsten Fragen ein.Hast du noch Geschwister? fragte ich.Ja, sagte das Kind.Gehst du gern in die Schule? fragte ich.Ja, sagte das Kind.Was machst du denn am liebsten?Wie bitte? fragte das Kind.Welches Fach? fragte ich verzweifelt.Ich weiß nicht, sagte das Kind.Vielleicht Deutsch? fragte ich.Ich weiß nicht, sagte das Kind.Ich drehte meinen Bleistift zwischen den Fingern, und es wuchs etwas in mir auf, ein Grauen, dasmit der Erscheinung des Kindes in gar keinem Verhältnis stand.Hast du Freundinnen? fragte ich zitternd.O ja, sagte das Mädchen.Eine hast du doch sicher am liebsten? fragte ich.Ich weiß nicht, sagte das Kind, und wie es dasaß in seinem haarigen Lodenmantel, glich es einerfetten Raupe, und wie eine Raupe hatte es auch gegessen, und wie eine Raupe witterte es jetztwieder herum. Jetzt bekommst du nichts mehr, dachte ich, von einer sonderbaren Rachsucht erfüllt.Aber dann ging ich doch hinaus und holte Brot und Wurst, und das Kind starrte darauf mit seinemdumpfen Gesicht, und dann fing es an zu essen, wie eine Raupe frißt, langsam und stetig, wie auseinem inneren Zwang heraus, und ich betrachtete es feindlich und stumm.Denn nun war es schon soweit, daß alles an diesem Kind mich aufzuregen und ärgern begann. Wasfür ein albernes, weißes Kleid, was für ein lächerlicher Stehkragen, dachte ich, als das Kind nachdem Essen seinen Mantel aufknöpfte. Ich setzte mich wieder an meine Arbeit, aber dann hörte ichdas Kind hinter mir schmatzen, und dieses Geräusch glich dem trägen Schmatzen eines schwarzenReihers irgendwo im Walde, es brachte mir alles wässerig Dumpfe, alles Schwere und und Trübeder Menschennatur zum Bewußtsein und verstimmte mich sehr. Was willst du von mir, dachte ich,geh fort, geh fort. Und ich hatte Lust, das Kind mit meinen Händen aus dem Zimmer zu stoßen, wieMarie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind" 3man ein lästiges Tier vertreibt. Aber dann stieß ich es nicht aus dem Zimmer, sondern sprach nurwieder mit ihm, und wieder auf dieselbe grausame Art.Gehst du jetzt aufs Eis, fragte ich.Ja, sagte das dicke Kind.Kannst du gut Schlittschuhlaufen? fragte ich und deutete auf die Schlittschuhe, die das Kind nochimmer am Arm hängen hatte.Meine Schwester kann gut, sagte das Kind, und wieder erschien auf seinem Gesicht in Ausdruckvon Schmerz und Trauer und wieder beachtete ich ihn nicht.Wie sieht deine Schwester aus? fragte ich. Gleicht sie dir?Ach nein, sagte das dicke Kind. Meine Schwester ist ganz dünn und hat schwarzes, lockiges Haar.Im Sommer, wenn wir auf dem Land sind, steht sie nachts auf, wenn ein Gewitter kommt, und sitztoben auf der obersten Galerie auf dem Geländer und singt.Und du? fragte ich.Ich bleibe im Bett, sagte das Kind. Ich habe Angst.Deine Schwester hat keine Angst, nicht wahr? sagte ich.Nein, sagte das Kind. Sie hat niemals Angst. Sie springt auch vom obersten Sprungbrett. Sie machteinen Kopfsprung, und dann schwimmt sie weit hinaus . . .Was singt deine Schwester denn? fragte ich neugierig.Sie singt, was sie will, sagte das dicke Kind traurig. Sie macht Gedichte.Und du? fragte ich.Ich tue nichts, sagte das Kind. Und dann stand es auf und sagte, ich muß jetzt gehen. Ich strecktemeine Hand aus, und es legte seine dicken Finger hinein, und ich weiß nicht genau, was ich dabeiempfand, etwas wie eine Aufforderung, ihm zu folgen, einen unhörbaren dringlichen Ruf. Kommeinmal wieder, sagte ich, aber es war mir nicht ernst damit, und das Kind sagte nichts und sah michmit seinen kühlen Augen an. Und dann war es fort, und ich hatte eigentlich Erleichterung spürenmüssen. Aber kaum, daß ich die Wohnungstür ins Schloß fallen hörte, lief ich auch schon auf denKorridor hinaus und zog meinen Mantel an. Ich rannte ganz schnell die Treppe hinunter underreichte die Straße in dem Augenblick, in dem das Kind um die nächste Ecke verschwand.Ich muß doch sehen, wie diese Raupe Schlittschuh läuft, dachte ich. Ich muß doch sehen, wie sichdieser Fettkloß auf dem Eise bewegt. Und ich beschleunigte meine Schritte, um das Kind nicht ausden Augen zu verlieren.Es war am frühen Nachmittag gewesen, als das dicke Kind zu mir ins Zimmer trat, und jetzt brachdie Dämmerung herein. Obwohl ich in dieser Stadt einige Jahre meiner Kindheit verbracht hatte,kannte ich mich doch nicht mehr gut aus, und während ich mich bemühte, dem Kind zu folgen,wußte ich bald nicht mehr, welchen Weg wir gingen, und die Straßen und Plätze, die vor mirauftauchten, waren mir völlig fremd. Ich bemerkte auch plötzlich eine Veränderung in der Luft. Eswar sehr kalt gewesen, aber nun war ohne Zweifel Tauwetter eingetreten und mit so großer Gewalt,daß der Schnee schon von den Dächern tropfte und am Himmel große Föhnwolken ihres Wegeszogen. Wir kamen vor die Stadt hinaus, dorthin, wo die Häuser von großen Gärten umgeben sind,und dann waren gar keine Häuser mehr da, und dann verschwand plötzlich das Kind und tauchteeine Böschung hinab. Und wenn ich erwartet hatte, nun einen Eislaufplatz vor mir zu sehen, helleBuden und Bogenlampen und eine glitzernde Fläche voll Geschrei und Musik, so bot sich mir jetztein ganz anderer Anblick. Denn dort unten lag der See, von dem ich geglaubt hatte, daß seine UferMarie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind" 4mittlerweile alle bebaut worden wären: er lag ganz einsam da, von schwarzen Wäldern umgebenund sah genau wie in meiner Kindheit aus.Dieses unerwartete Bild erregte mich so sehr, daß ich das fremde Kind beinahe aus den Augenverlor. Aber dann sah ich es wieder, es
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Marie Luise Kaschnitz "Das Dicke Kind" 1
Es war Ende Januar, Bald nach den Weihnachtsferien, als das Kind zu mir kam Dicke. Ich Hatte in
diesem Winter angefangen, Die Kinder der Nachbarschaft AUS Bücher auszuleihen, an einem Die sie
und bestimmten Wochentag holen zurückbringen sollten. Natürlich kannte ich Die meisten Dieser
Kinder, aber es kamen Auch manchmal Fremde, Die nicht in unserer Straße wohnten. Und Wenn
Die Mehrzahl Auch nur von Ihnen gerade so Lange Zeit blieb, Wie der Umtausch in Anspruch nahm,
so gab es doch einige, Die sich auf der Stelle hinsetzten Gleich und zu lesen begannen. Dann Saß ich
an meinem Schreibtisch und arbeitete, Die Kinder und dem kleinen Tisch bei saßen an der
Bücherwand, Gegenwart und ihre war angenehm und mir mich nicht störte.
Das Dicke Kind kam an einem Oder Freitag Samstag, jedenfalls nicht an dem zum Ausleihen
bestimmten Tag. Ich Hatte vor, auszugehen, und im Begriff war, einen kleinen Imbiß, den ich mir
gerichtet Hatte, ins Zimmer zu Tragen. Kurz vorher Hatte ich einen Besuch und Dieser gehabt mußte
Vergessen haben wohl, Die Eingangstür zu schließen. So kam es, daß das Kind Ganz plötzlich Dicke
stand vor mir, als ich das gerade auf den Schreibtisch niedergesetzt Hatte Tablett und mich
umwandte, um zu noch etwas in der Küche holen. Es war Ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren,
das einen altmodischen Lodenmantel und schwarze, gestrickte Gamaschen anhatte an einem und
Riemen Ein paar Schlittschuhe trug, und kam es mir bekannt, aber doch nicht richtig bekannt vor,
Weil und es war so Leidse hereingekommen, Hatte es mich erschreckt .
Kenne ich dich? fragte ich überrascht.
Das Dicke Kind sagte nichts. Es stand da und nur über seinem runden legte Bauch Die Hände
und sah mich zusammen mit Augen an Seinen wasserhellen.
Möchtest du Ein Buch? fragte ich.
Das Dicke Kind gab wieder keine Antwort. Aber ich mich nicht allzusehr darüber wunderte. Ich war
es gewohnt, daß Die Kinder schüchtern waren, und daß man Ihnen Helfen mußte. Also Zog ich Ein
paar Bücher heraus und sie vor das Fremde Mädchen legte Hin. Dann machte ich mich daran , Eine
der Karten auszufüllen, Die entliehenen Bücher auf welchen aufgezeichnet wurden.
Wie heißt du denn? fragte ich.
Sie mich nennen Die Dicke, sagte das Kind.
Soll ich dich Auch so nennen? fragte ich.
Es ist mir egal, sagte das Kind . Es erwiderte mein Lächeln nicht, und ich mich jetzt zu glaube
erinnern, daß sein Gesicht sich in diesem Augenblick schmerzlich verzog.
Aber ich nicht darauf achtete.
Wann geboren bist du? fragte ich weiter.
Im Wassermann, sagte das Kind ruhig.
Diese Antwort belustigte mich und ich sie auf der Karte Ein trug, spaßeshalber gewissermaßen, und
ich mich wieder Dann wandte Büchern zu den.
Möchtest du etwas Bestimmtes? fragte ich.
Aber ich sah Dann, daß Kind gar nicht das Fremde Die Bücher ins Auge faßte, Sondern seine Blicke
auf dem Tablett ruhen ließ, Tee und auf dem mein meine belegten Brote Standen,
Vielleicht möchtest du etwas essen, sagte ich Schnell.
Das Kind nickte, und etwas lag in seiner Zustimmung Wie Ein gekränktes Erstaunen darüber, daß
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ich jetzt auf Diesen ERST Gedanken kam. Es machte sich daran, Die Brote zu eins nach dem andern
verzehren, und es auf das Eine besondere tat Weise, über Die ich mir ERST später Rechenschaft gab.
Dann Saß und es wieder da ließ seine trägen Kalten Blicke im Zimmer herumwandern, und es lag
etwas in seinem Wesen, und das mich mit Ärger Abneigung erfüllte, Ja gewiß, Habe ich dieses Kind
von Anfang an gehaßt. Alles an ihm Hat mich abgestoßen, seine trägen Glieder, sein hübsches , Fettes
Gesicht, seine Sprechen zu Art, Die zugleich schläfrig und anmaßend war. Und ich mich obwohl
entschlossen Hatte, ihm zuliebe meinen Spaziergang aufzugeben, behandelte ich es doch keineswegs
freundlich, Sondern grausam und Kalt.
Oder soll es etwa freundlich nennen man, daß ich mich nun setzte an den Schreibtisch und meine
Arbeit und über meine Schulter vornahm Weg sagte, Lies jetzt, obwohl ich doch Ganz Genau wußte,
daß das Fremde Kind gar nicht lesen wollte? Und Dann Saß und ich da brachte wollte schreiben und
nichts zustande, Weil ich der Peinigung Hatte Ein sonderbares Gefühl, so, Wie Wenn man etwas
erraten errät und soll es nicht, und EHE man es nicht erraten Hat, Kann nichts werden Mehr so, Wie es
vorher war. Und ich das Eine Weile lang hielt AUS, aber nicht sehr Lange, und ich mich Dann wandte
begann Eine Unterhaltung und um, und es mir nur fielen Die Fragen Ein törichsten.
Hast du noch Geschwister? fragte ich.
Ja, das Kind sagte.
Gehst du gern in Die Schule? fragte ich.
ja, das Kind sagte.
Was machst du denn am liebsten?
Wie bitte? fragte das Kind.
Welches Fach? fragte verzweifelt ich.
Ich Weiß nicht, sagte das Kind.
Vielleicht Deutsch? fragte ich.
Ich Weiß nicht, sagte das Kind.
Ich drehte meinen Bleistift zwischen den Fingern, und etwas in wuchs es mir auf, Ein Grauen, das
mit der Erscheinung des Kindes in gar keinem Verhältnis stand.
Hast du Freundinnen? fragte ich zitternd.
O ja, das Mädchen sagte.
Eine hast du sicher doch am liebsten? fragte ich.
Ich Weiß nicht, sagte das Kind, und Wie es dasaß in seinem haarigen Lodenmantel, glich es einer
fetten Raupe, und Wie Eine Raupe Hatte es Auch gegessen, und Wie Eine Raupe witterte es jetzt
wieder herum. Jetzt bekommst du nichts Mehr, dachte ich, von einer sonderbaren Rachsucht erfüllt.
Aber ich doch hinaus Dann ging Holte Brot und Wurst und, und das Kind starrte darauf mit seinem
dumpfen Gesicht, fing es an Dann und zu essen, Wie Eine Raupe frißt, Langsam und stetig, Wie AUS
einem inneren Zwang heraus, und ich und betrachtete es feindlich Stumm.
Denn es nun schon soweit war, daß alles an diesem Kind und mich aufzuregen ärgern begann. Was
für Ein albernes, Weißes Kleid, was für Ein lächerlicher Stehkragen, dachte ich, als das Kind nach
dem Essen Seinen Mantel aufknöpfte. Ich meine Arbeit an setzte mich wieder, aber Dann hörte ich
mir das Kind Hinter schmatzen, dieses Geräusch glich und dem eines trägen Schmatzen Schwarzen
Reihers irgendwo im Walde, brachte es mir alles wässerig Dumpfe , alles und und Trübe Schwere
der Menschennatur und zum Bewußtsein verstimmte mich sehr. Was Willst du von mir, dachte ich,
geh fort, geh fort. Und ich Hatte Lust, das Kind mit dem Zimmer zu meinen Händen AUS stoßen, Wie
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Tier vertreibt man Ein lästiges. Aber ich es nicht Dann stieß AUS dem Zimmer, Sondern sprach nur
wieder mit ihm, und wieder auf dieselbe grausame Art.
Gehst du jetzt aufs Eis, fragte ich.
Ja, das Dicke sagte Kind.
Kannst du gut Schlittschuhlaufen? fragte ich auf und deutete Schlittschuhe Die, Die das Kind noch
immer am Arm hängen Hatte.
Meine Schwester Kann gut, sagte das Kind, und wieder auf seinem erschien Gesicht in Ausdruck
von Schmerz und Trauer und ich wieder beachtete ihn nicht.
Wie sieht Deine Schwester AUS? fragte ich. Gleicht sie dir?
Ach nein, sagte das Kind Dicke. Meine Schwester und ist Ganz dünn Hat Schwarzes, lockiges Haar.
Im Sommer, Wenn wir auf dem Land Sind, steht auf sie nachts , Wenn Ein Gewitter kommt, und sitzt
oben auf der Galerie auf dem Geländer obersten und singt.
Und du? fragte ich.
Ich bleibe im Bett, sagte das Kind. Ich Habe Angst.
Deine Schwester Hat keine Angst, nicht wahr? sagte ich.
nein, sagte das Kind. Sie Hat niemals Angst. Sie springt Auch vom obersten Sprungbrett. Sie macht
einen Kopfsprung, und sie WEIT hinaus Dann schwimmt...
Was singt Deine Schwester denn? fragte ich neugierig.
Sie singt, was sie Will, sagte Dicke das Kind traurig. Sie macht Gedichte.
Und du? fragte ich.
Ich tue nichts, sagte das Kind. Und es auf und sagte Dann stand, ich jetzt muß gehen. streckte Ich
meine Hand AUS, und es legte seine dicken Finger hinein, Weiß nicht Genau und ich, was ich Dabei
empfand, Wie Eine etwas Aufforderung, ihm zu folgen, einen unhörbaren dringlichen Ruf. Komm
Einmal wieder, sagte ich, aber es war mir nicht Ernst Damit, und das Kind sagte nichts und sah mich
mit Seinen Augen an kühlen. Und Dann war es fort, und ich Hatte eigentlich Erleichterung spüren
müssen. Aber kaum, daß ich ins Die Wohnungstür Schloß fallen hörte, Lief Auch ich schon auf den
Korridor hinaus Mantel und meinen an Zog. Ich Ganz Schnell rannte Die Treppe hinunter und
erreichte Die Straße in dem Augenblick, in dem das Kind um Die nächste Ecke verschwand.
Ich muß doch sehen, Wie diese Raupe Schlittschuh läuft, dachte ich. Ich muß doch sehen, Wie sich
auf dem EISE bewegt Dieser Fettkloß. Und ich beschleunigte meine Schritte, um das Kind AUS nicht
den Augen zu verlieren.
Es war am frühen Nachmittag gewesen, als das Kind Dicke trat zu mir ins Zimmer, und jetzt Brach
Die Dämmerung HEREIN. Obwohl ich in Dieser einige Jahre Stadt meiner Kindheit verbracht Hatte,
kannte ich mich doch nicht gut AUS Mehr, und während ich mich bemühte, dem Kind zu folgen,
wußte ich nicht Mehr Bald, welchen Weg wir Gingen, Straßen und Plätze und Die, Die vor mir
auftauchten, waren mir völlig fremd. Ich Auch plötzlich bemerkte Eine Veränderung in der Luft. Es
war sehr Kalt gewesen, aber nun war Ohne Zweifel Tauwetter eingetreten Gewalt und mit Großer so,
daß der Schnee und schon von den Dächern tropfte am Himmel Große Föhnwolken ihres Weges
zogen. Wir kamen vor Die Stadt hinaus, dorthin , WO Die Häuser von Großen Gärten umgeben Sind,
gar keine Häuser und Mehr Dann waren da, und das Kind und Dann verschwand plötzlich tauchte
Eine Böschung hinab. Und Wenn ich erwartet Hatte, nun einen Eislaufplatz vor mir zu sehen, helle
Buden und und Bogenlampen Eine glitzernde Fläche Voll Geschrei und Musik, so BOT sich mir jetzt
Ein Ganz Anderer Anblick Denn lag Dort Unter der See, von dem ich geglaubt Hatte, daß seine Ufer.
Marie Luise Kaschnitz "Das Dicke Kind" 4
mittlerweile alle bebaut Worden wären: er Ganz einsam da lag, von Schwarzen Wäldern umgeben
Genau und sah Wie in meiner Kindheit AUS.
dieses Bild erregte unerwartete so mich sehr, daß ich das Fremde Kind beinahe AUS den Augen
verlor. Aber ich sah es wieder Dann, es
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Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind "1 the war Es Ende Januar, bald nach Weihnachtsferien den, als das dicke Kind zu mir kam. Ich hatte in the Winter diesem angefangen, die Kinder aus der Nachbarschaft Bu auszuleihen cher, die sie an einem bestimmten the Wochentag holen und zuru ckbringen sollten. Natu rlich kannte ich die meisten dieser) Kinder, aber es kamen auch manchmal Fremde,die in nicht unserer Stra clean e wohnten. Und wenn auch to die Mehrzahl von ihnen gerade nur so Zeit blieb lange, wie der Umtausch in Anspruch nahm, so the gab es doch einige, die sich hinsetzten und zu gleich auf der Stelle lesen begannen. Dann sa clean the ich an meinem Schreibtisch und arbeitete, und die Kinder sa clean en an dem kleinen Tisch Bei the der Bu cherwand,und ihre Gegenwart war mir angenehm und sto rte mich nicht. The dicke Das Kind kam an einem Freitag oder Samstag, jedenfalls nicht an dem zum Ausleihen bestimmten the Tag. Ich hatte vor, auszugehen, und war im Begriff, einen kleinen Imbi clean, den ich hatte gerichtet the mir, ins Zimmer zu tragen. Kurz vorher ich hatte einen Besuch gehabt und dieser mu clean te
wohl vergessen haben, die Eingangstu r zu schlie clean en.So kam es, da clean das dicke Kind ganz the plo tzlich vor mir stand, gerade als ich das Tablett auf den Schreibtisch niedergesetzt hatte und mich) umwandte, um noch etwas in der Ku che zu holen. Es war ein Ma dchen von vielleicht zwo LF Jahren, das einen altmodischen Lodenmantel und schwarze, gestrickte Gamaschen anhatte und an einem Riemen the ein paar Schlittschuhe trug, und es kam mir bekannt,aber doch nicht richtig bekannt vor, und weil es so leise hereingekommen war, hatte es mich erschreckt. The ich Kenne dich? The fragte ich U berrascht. The dicke Das Kind sagte nichts. Es stand nur da und die legte Ha nde the U ber seinem runden Bauch zusammen the und sah mich seinen wasserhellen Augen an mit. The chtest Mo du ein Buch? fragte ich. The dicke Das Kind gab wieder keine Antwort.Aber daru ber wunderte ich mich nicht allzusehr. Ich the war es gewohnt, da clean die Kinder schu chtern waren, und da man clean ihnen helfen mu clean Te. Also zog ich ein paar the Bu cher heraus und das legte sie vor fremde Ma dchen hin. Dann machte ich mich daran, the eine der Karten auszufu llen, auf die welchen entliehenen Bu cher aufgezeichnet wurden. The hei Wie clean T du denn? fragte ich. The nennen Sie mich Dicke die, sagte das Kind.The ich Soll dich auch so nennen? fragte ich. The mir Es ist egal, sagte das Kind. Es erwiderte mein La cheln nicht, und zu jetzt ich glaube mich) erinnern, da clean sein Gesicht sich in diesem Augenblick schmerzlich verzog. The ich Aber achtete darauf nicht. The bist du Wann geboren? fragte ich weiter. The Wassermann Im, sagte das Kind ruhig. The Antwort Diese belustigte mich und ich trug sie auf der Karte ein,spa clean eshalber gewisserma en clean, the und dann wandte ich mich wieder den Bu chern zu. The chtest Mo du etwas Bestimmtes? fragte ich. The ich Aber dann sah, da clean das fremde Kind gar nicht die Bu cher ins Auge Fa clean Te, sondern the seine Blicke auf dem Tablett ruhen lie clean, auf dem mein Tee und meine belegten Brote standen, Vielleicht mo chtest du etwas essen, sagte ich schnell. The Kind Das nickte,und seiner Zustimmung lag in ein etwas wie gekra nktes Erstaunen daru ber, da clean the Luise Marie Kaschnitz "Das dicke Kind "2
ich erst jetzt auf diesen Gedanken kam. Es machte sich daran, die Brote eins nach dem andern verzehren the zu, und das es tat auf eine besondere Weise, the U ber die ich mir erst spa ter Rechenschaft gab. The sa Dann clean es wieder da und lie clean seine tra Gen kalten Blicke im Zimmer herumwandern,und es lag in the seinem etwas Wesen, das mich mit A rger the und Abneigung erfu llte, Ja gewi clean, ich habe dieses Kind von the Anfang an geha clean T. Alles an ihm hat mich abgesto clean en, seine tra Gen Glieder, hu bsches sein, the fettes Gesicht, seine Art zu sprechen, die zugleich schla frig und anma clean end war. Und obwohl ich hatte entschlossen the mich, ihm zuliebe meinen Spaziergang aufzugeben, behandelte ich doch keineswegs es)freundlich, sondern grausam und kalt. The Man Oder soll es etwa freundlich nennen, da clean ich mich nun an den Schreibtisch setzte und meine Arbeit the vornahm und the U ber meine Schulter sagte weg, lies jetzt, obwohl ich doch ganz genau Wu Te clean, da clean das fremde Kind gar nicht lesen wollte? Und dann sa clean ich da und wollte schreiben und brachte nichts the zustande, weil ich ein sonderbares Gefu hl der Peinigung hatte, so,The man etwas wie wenn erraten soll und erra t es nicht, und ehe man es nicht erraten hat, kann nichts mehr so werden, wie es vorher the war. Und eine Weile lang hielt ich das aus, aber nicht sehr lange, und dann wandte ich mich um the und begann eine Unterhaltung, und es fielen mir nur die to richsten Fragen ein. The du Hast noch Geschwister? fragte ich. The Ja, sagte das Kind. The du Gehst gern in Schule die?fragte ich. The Ja, sagte das Kind. The machst Was du denn am liebsten? The bitte Wie? fragte das Kind. The Fach Welches? fragte ich verzweifelt. The clean nicht Ich Wei, sagte das Kind. The Deutsch Vielleicht? fragte ich. The clean nicht Ich Wei, sagte das Kind. The drehte Ich meinen Bleistift zwischen den Fingern, und es wuchs etwas in mir auf, ein Grauen, the das mit der Erscheinung des Kindes in gar keinem Verha ltnis stand.)Hast du Freundinnen? fragte ich zitternd. The ja O, sagte das Ma dchen. The hast Eine du doch sicher am liebsten? fragte ich. The clean nicht Ich Wei, sagte das Kind, und wie es dasa clean in seinem haarigen Lodenmantel, glich es einer fetten the Raupe, und wie eine Raupe hatte es auch gegessen, und wie eine Raupe witterte es jetzt wieder the herum. Jetzt bekommst du nichts mehr, dachte ich,Von einer sonderbaren Rachsucht erfu llt. The dann Aber ging ich doch hinaus und holte Brot und Wurst, und das Kind starrte darauf mit seinem dumpfen the Gesicht, und zu dann fing es an essen, wie eine Raupe fri clean T, langsam und stetig, wie aus) einem inneren Zwang heraus, und ich betrachtete es feindlich und stumm. The war Denn nun es schon soweit, da clean alles an diesem Kind mich aufzuregen und a rgern the begann.The Was fu r ein albernes, Wei clean es Kleid, was fu r ein la cherlicher Stehkragen, dachte ich, als das Kind nach dem the Essen seinen Mantel aufkno pfte. Ich setzte mich wieder an meine Arbeit, aber dann ho rte ich das the Kind hinter mir schmatzen, und dieses Gera usch glich dem tra Gen Schmatzen eines schwarzen Reihers the irgendwo im Walde, es brachte mir alles wa sserig Dumpfe, alles Schwere und und Tru to beder Menschennatur zum Bewu clean tsein und verstimmte mich sehr. Was willst du von mir, dachte ich, geh fort, geh fort. Und ich hatte Lust, das Kind mit meinen Ha nden aus dem Zimmer zu sto en clean, the wie Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind "3
man ein la stiges Tier vertreibt. Aber dann stie clean ich es nicht aus dem Zimmer, the sondern sprach nur wieder mit ihm, und wieder auf dieselbe grausame Art.)Gehst du jetzt aufs Eis, fragte ich. The Ja, sagte das dicke Kind. The du Kannst gut Schlittschuhlaufen? fragte ich und deutete auf die Schlittschuhe, die das Kind noch immer the am Arm ha ngen hatte. The Schwester Meine kann gut, sagte das Kind, und wieder erschien auf seinem Gesicht in the Ausdruck von und Schmerz Trauer und wieder beachtete ich ihn nicht. The sieht Wie deine Schwester aus? fragte ich. Gleicht sie dir?The nein Ach, sagte das dicke Kind. Meine Schwester ist ganz du nn und schwarzes hat, lockiges Haar. The Sommer Im, wenn wir sind auf dem Land, steht sie nachts auf, wenn ein Gewitter kommt, the und sitzt oben auf der obersten Galerie auf dem Gela nder und singt. The du Und? fragte ich. The bleibe Ich im Bett, sagte das Kind. Ich habe Angst. The Schwester Deine hat keine Angst, nicht wahr? sagte ich. The Nein.sagte das Kind. Sie hat niemals Angst. Sie springt auch vom obersten Sprungbrett. Sie macht einen the Kopfsprung, und dann schwimmt sie weit hinaus... The singt Was deine Schwester denn? fragte ich neugierig. The singt Sie, was sie will, sagte das dicke Kind traurig. Sie macht Gedichte. The du Und? fragte ich. The nichts Ich tue, sagte das Kind. Und dann stand es auf und sagte, ich mu clean jetzt gehen. Ich streckte)meine Hand aus, und es legte seine dicken Finger hinein, und ich Wei clean nicht genau, was the ich dabei empfand, etwas wie eine Aufforderung, ihm zu folgen, einen unho rbaren dringlichen Ruf. Komm einmal the wieder, sagte ich, aber es war mir nicht ernst damit, und das Kind sagte nichts und sah mich mit seinen the ku hlen Augen an. Und dann war es fort, und ich hatte eigentlich Erleichterung spu the Ren mu ssen.Aber kaum, da clean ich die Wohnungstu r ins Schlo clean fallen ho rte, lief ich auch schon auf den Korridor the hinaus und zog meinen Mantel an. Ich rannte ganz schnell Treppe hinunter und die the Stra erreichte die in clean e dem Augenblick, in dem das Kind um die na chste Ecke verschwand. The mu Ich clean doch sehen, wie diese Raupe Schlittschuh la uft, dachte ich. Ich mu clean doch sehen, wie sich)dieser Fettklo clean auf dem Eise bewegt. Und ich beschleunigte meine Schritte, um das Kind nicht aus den the Augen zu verlieren. The war Es am fru hen Nachmittag gewesen, als das dicke Kind zu mir ins Zimmer trat, jetzt und die the brach Da mmerung herein. Obwohl ich in dieser Stadt einige Jahre meiner Kindheit verbracht hatte, kannte doch mich ich nicht mehr gut aus, und wa hrend ich mich bemu hte.dem Kind folgen zu, Wu clean te ich bald nicht mehr, welchen Weg wir gingen, und die Stra clean en und Pla tze, die vor the mir auftauchten, waren mir vo llig fremd. Ich bemerkte auch plo tzlich eine Vera nderung in der Luft. Es war the sehr kalt gewesen, aber nun war ohne Zweifel Tauwetter eingetreten und mit gro so clean Gewalt er, da clean der Schnee schon von den Da chern tropfte und am Himmel gro clean e Fo hnwolken ihres Weges)zogen. Wir kamen vor die Stadt hinaus, dorthin, wo die Ha user von gro clean en Ga rten umgeben sind, und dann waren gar keine Ha user mehr da, und dann verschwand plo tzlich Kind und das the tauchte eine Bo schung hinab. Und wenn ich hatte erwartet, nun einen Eislaufplatz vor zu sehen mir, the helle Buden und Bogenlampen und eine glitzernde Fla che voll Geschrei und Musik, so the BOT sich mir jetztein ganz anderer Anblick. Denn dort unten lag der See, von dem ich hatte geglaubt, da clean the seine Ufer Marie Luise Kaschnitz "Das dicke Kind "4
mittlerweile alle bebaut worden wa Ren: er lag ganz einsam da, von schwarzen Wa ldern umgeben und the sah genau wie in meiner Kindheit aus. The unerwartete Dieses Bild erregte mich so sehr, da clean ich das fremde Kind beinahe aus den the Augen verlor.Aber dann sah ich es wieder, es
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